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Language-based expert knowledge in contemporary mass media narrative franchises »

Interview Ausschnitt: Tom Holert

By Johanna Schaffer | Published: February 20, 2011

JS: Mein eigenes Verhältnis zum Begriff ‘künstlerische Forschung’ ist aufgrund der Art, wie dieser Begriff gegenwärtig institutionell beschäftigt wird, eher ambivalent. Gleichzeitig interessiert mich, wie das, was sich als Bezeichnung für einen sehr grundlegenden Bestandteil künstlerischer oder gestalterischer oder auch produktiver Arbeit verstehen läßt,  zunehmend verengt und auch instrumentalisiert wird in einem Zusammenhang, dem es v.a. um den Gewinn von Forschungsmitteln und um Unterfütterung von Kunstinstitutionen mit symbolischem Kapital geht. Diese Verengung  eines Forschungsbegriffs findet sich an vielen Stellen, und besonders gerne in Zusammenhängen, wo es um Wissensmanagement geht – also Kunstuniversitätsrektorate und Fördergeberkontexte. (Hier scheint mir unser gemeinsamer Brief an die Leitung der Akademie immer noch spannend – der Rektor Stephan Schmidt-Wulffen hat diesen ja auch, ich glaube richtig, als Manifest bezeichnet.)

Aber was machst du selbst für deine Arbeit oder in der Vielfalt deiner Arbeit mit dem Begriff künstlerische Forschung, arts based research?

Tom Holert: Zunächst ist “künstlerische Forschung” für mich – als Diskurs und als Praxis, also als diskursive Praxis – ein Gegenstand der Untersuchung und der Beforschung. Ich interessiere mich als Historiker und als Kunsthistoriker für die Genese und die Genealogie dieses Begriffs, für seine diversen, oft konflikthaltigen Vorgeschichten, seine unterschiedlichen, abweichenden, asynchron verlaufenden Narrative oder Narrationen, und auch für die Frage, was diesen Begriff vielleicht auch unabhängig oder jenseits der institutionellen hochschulpolitischen Notwendigkeiten, über die wir vielleicht auch noch sprechen können, einerseits so vermeintlich praktisch und zugänglich und andererseits so schwer zu fassen macht. Es handelt sich ja, entgegen aller offiziellen Durchsetzungsrhetorik um einen umstrittenen, eminent bestreitbaren Begriff. Diese Umstrittenheit bzw. diese Attraktivität cum Umstrittenheit zeichnet ihn für mich schon mal aus – nämlich als Gegenstand meines historischen, genealogischen Interesses besonders an der Geschichte von künstlerischem Selbstverständnis, künstlerischer Selbstverständigung und künstlerischen Wissens.

Dieses Interesse beschäftigt mich schon relativ lang. Ich habe in den späten 1980er Jahren begonnen, meine Doktorarbeit zu schreiben und mich darin mit Konzepten künstlerischer Befähigung, künstlerischer Kompetenz, künstlerischer Eignung im Umfeld der französischen Enzyklopädisten im 18. Jahrhundert befasst. Dabei ging es mir schon immer weniger um die Erkenntnis- und Wissensformen in rein epistemologischer Hinsicht. Wahrscheinlich macht sich in dem Fokus, den ich auf die gesellschaftlich-praktischen, also institutionellen und ökonomischen Verteilungen und Territorialisierungen von Wissenszugängen richte, der Einfluss der französischen Wissenstheorie und Wissenschaftsgeschichte und vor allem von deren machttheoretischer Revision durch Michel Foucault, aber auch der Studien zur historischen Semantik in den unterschätzten Bänden zu “Gesellschaftsstruktur und Semantik” des Soziologen Niklas Luhmann bemerkbar – ganz abgesehen von den kritischen Entwürfen feministischer und postkolonalistischer Epistemologien.

Ich interessiere mich grundsätzlich für Ordnungen des Wissens, und für die Art und Weise, wie Macht und Wissen sich als Macht-Wissen konstituieren. Denn neben der stark auf die ökonomisch-materiellen Bedingungen solcher Prozesse abhebenden Betrachtungsweise ist diese genealogische Wissens- und Praxissanalyse für mich eine der wenigen Möglichkeiten, eine Arbeit der Entselbstverständlichung künstlerischer Praxis zu betreiben: indem man sich eben fragt, wie kommt es dazu, dass Leute etwas auf bestimmte Art und Weise wissen und tun, und die Ergebnisse dieses Wissens und Tuns auf eine bestimmte Rezeption stoßen und in bestimmte Kanalisierungsprozesse oder Prozesse des Vergessens münden. Und das hat unter anderem damit zu tun, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Art und Weise, wie sich eine Gesellschaft in bestimmten historischen Situationen an bestimmten philosophischen, weltanschaulichen und bestimmten wissenschaftlichen Paradigmen orientiert und ob diese Orientierungen dann, das ist ja die Aufgabe der Kunst seit der Moderne, von der Kunst bestritten oder affirmiert werden.

Ein zentrales Interesse meines gegenwärtigen Forschungsvorhabens ist daher auch zu sehen, inwieweit bestimmte Formen künstlerischer Forschung, die als solche sehr explizit oder mehr oder weniger explizit auftritt, ohnehin existierende oder dominierende Formen der Präsentation von Wissensprozessen spiegeln, oder inwieweit sie so etwas wie eine alternative Form von Wissensproduktion entwickeln, eine alternative Form von Pädagogik, eine gegeninformatorische Praxis, die sich dann sogar noch den Regeln und Vereinbarungen einer in anderen gesellschaftlichen Bereichen gepflegten Form von Gegeninformation oder Gegenwissen entzieht oder sich dazu noch einmal kritisch verhält.

Das interessiert mich auch deshalb, weil eines der Hauptlegitimationsprobleme künstlerischer Forschung in diesem third cycle Bereich der Kunstuniversitäten, dem postgradualen Kontext, ja in der Frage danach besteht, was diese Form von Wissenspraxis, von künstlerisch-wissenschaftlicher Praxis, von Wissenschaft im traditionellen Sinne unterscheidet. Kann dieser Bereich überzeugend vermitteln und begründen, warum es nötig ist, dafür eigene Studiengänge einzurichten? Und wie bewältigt dann dieser Bereich die unüberschaubare und aus guten, historisch gewordenen Gründen nicht zu begrenzende Bandbreite an möglichen Interessen, an möglichen Forschungsgegenständen? (lacht)

JS: Deine Antwort? Auf die Frage wie unterscheidet sich diese…

Tom Holert: Ich lese gerade ein neu erschienenes Buch, in dem zwei Architekturtheoretiker versuchen, das für ihr Fach zu lösen: “Das Wissen der Architektur” von Gerd de Bruyn und Wolf Reuter. Bei den Architekt_innen ist es nicht ganz unähnlich wie bei den bildenden Künstler_innen, nur noch extremer. Auch der Architektur droht angesichts der Veränderung des Hochschulwesens, der Sparzwänge und der Bolognaisierung ein Entzug der Anerkennung als eigene Disziplin. Und es droht, zumindest ist das die Auffassung der Autoren, eine traurige Existenz als angewandtes Fach in Fachhochschulen, eine Schattenexistenz auch auf Kunsthochschulen. Also versuchen die beiden, Architektur als Wissenschaft und damit als forschungswürdig zu behaupten. Sie tun dies, indem sie auf das Spezifische des Planungswissens abheben. Sie behaupten, dass das Planen, Planungsprozesse, Entwurfsprozesse usw. etwas sind, was eine Eigenartigkeit hat, was so spezifisch ist, dass es sich nicht anders als in einer eigenen Wissenschaftsdisziplin, die dann Architektur heißen muss, lehren, lernen und erforschen lässt.

Das überzeugt mich nicht ganz. Denn in dieser Suche nach dem epistemologischen Alleinstellungsmerkmal der Architektur als Praxis steckt ein starkes disziplinierendes Moment, eine Rücknahme von in der Auseinandersetzung mit der Tradition der Moderne erkämpfter transdisplinärer Bewegungsräume in der Architektur, und sicher mehr noch in der bildenden Kunst.

Was die künstlerische Forschung angeht, sehe ich erst recht keine Möglichkeit, auf diese Weise zu begründen, dass man eine Art Kernbestand oder ein Kernbereich an Fähigkeiten definieren könnte, der dann je nach Anwendungsgelegenheit ausdifferenziert würde. Ich glaube, es geht eher darum – und insofern ist künstlerische Forschung dann tatsächlich vielleicht im besten Sinne eine modernistische Disziplin – dass sie sich ständig die Frage stellt, wie so eine Selbstbegründung aussehen könnte. Künstlerische Forschung hätte also immer mit vorläufigen Definitionen zu arbeiten, nur dass diese Arbeit nicht in einem Vertrauen auf die Nachhaltigkeit solcher Definitionen erfolgen würde.

Das ist sehr umständlich formuliert. Und im Grunde will ich mich wahrscheinlich allzu gern um die Beantwortung dieser Frage herumdrücken, und zunächst mal künstlerische Forschung als einen relativ beliebigen Begriff einsetzen, der hilfreich sein könnte für die Einrichtung eines neuen Typs von postgradualen Studien an Kunstakademien, die sich – so unwahrscheinlich ein Erfolg hier auch sein mag – mit den Bedingungen und Funktionen ihrer selbst in der neoliberalen Universität kontinuierlich auseinandersetzen. Ich hätte nichts dagegen, wenn man sich irgendwann einmal dafür entscheidet, das ganz anders zu nennen, und einfach sagt, es gibt nach dem Magister eine weitere Stufe der Ausbildung, wo sich Künstler_innen in einem mehr oder weniger geschützten institutionellen Rahmen in bestimmte Fragen, auch sehr grundsätzliche, ontologische Fragen vertiefen können, um dann die Beschäftigung damit wiederum in ihre Praxis eingehen zu lassen.

Aber der Versuch, so etwas wie künstlerische Forschung als einen sich von wissenschaftlicher Forschung unterscheidenden Bereich aufzufassen, mündet meiner Ansicht nach – das wiederhole ich immer wieder gerne – in einem Essentialismus der Kunst. Denn gerade dort, wo es eigentlich so unwahrscheinlich ist und gar nicht naheliegend, das zu tun, wird die Unterscheidung, die Distinktion, letztlich nur möglich über die Belastung des  Kunstbegriffs mit substanzialistischen Begriffen oder Attributen wie Spontaneität, Experimentalität, Intuition, Kreativität, das Gefühl für Form oder was auch immer. Letztlich kann man gar nicht mehr darüber sagen, denn in dem Moment, wo man sagen würde, kritisches Denken oder  (lacht) usw., wird man sehr unspezifisch.

Wenn man etwas sehr Kunstspezifisches sucht – und deshalb stelle ich diese Frage auch häufig dann, wenn ich weiß, dass darauf keine Antwort möglich ist, oder nur eine, die notgedrungen enttäuschend ausfällt – dann droht immer ein Rückfall in ästhetische Fundamentalismen oder Existenzialismen. Das gilt gerade auch für die Versuche, die gegenwärtig unternommen werden, diese Distinktion auf der Suche nach einem trennscharfen Begriff des „Künstlerischen“ der künstlerischen Forschung herzustellen. Dem könnte man begegnen, indem man sagt: also unser Begriff von Kunst ist einer, der von Institutionskritik geprägt ist, das heißt, er sieht Kunst immer schon als diskursive oder soziale Produktion an, als immer schon historisch und sozial bedingt usw. Auch diese Wendung ist finde ich nicht so richtig befriedigend, nicht zuletzt, weil sie trivial ist. Insofern würde ich eher dazu raten, sich von dieser definitorischen Anstrengung gar nicht allzu sehr am eigenenTun hindern zu lassen (lacht)… sondern zu versuchen, bestimmte Kontexte zu etablieren, in denen es unter anderem möglich ist, sich über diese Fragen Gedanken zu machen, aber eben auch über andere, und gerade über solche, die man mit ästhetischen, poetischen, künstlerischen Mitteln – was immer das dann sein mag – löst. Und da ist ein anderer als ein sehr allgemeiner Begriff davon, was bildende Kunst ist, gar nicht möglich oder gar nicht vorstellbar.

Ausschnitt aus einem Interview mit Tom Holert, Wien, 25.10.2010

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